Im Almrosenrausch

Wohin man blickt – die Farbe Rot! Wir sind im Almrosenrausch, tauchen ab in dichte Dolden, die links und rechts den Weg säumen. Ein Meer leuchtend roter Blüten, auf dem wir bis zum Gipfel surfen. Ohnehin wirkt Michl, wie er von allen genannt wird, mit seinem coolen Outfit und der Baseballcap eher wie ein Beachboy als ein Wanderführer. Doch der Schein trügt - Michl liebt das Wandern. Genauso wie er im Winter den Langlauf liebt. Weil ihm Skilaufen nicht sportlich genug ist. „Mehrmals in der Woche gehe ich auf den Brand“ sagt er. „Da kann ich in kürzester Zeit meinen Akku aufladen. In der Umbauphase unserer Biopension ,der Veitenhof‘ bin ich trotz schwerer körperlicher Arbeit – oder genau deswegen – danach des Öfteren noch hinaufgelaufen. „Gelaufen“ sagt der Sportler und meint es auch so. Rund 60 Minuten braucht er für den Aufstieg und 30 Minuten für den Abstieg. 800 Höhenmeter legt er dabei auf einer Strecke zurück. Mit Stadtpflanzen wie mir geht er es gemütlicher an.

Zur Person Michael Leiter

  • Jahrgang: 1978
  • Familienstand: verheiratet, zwei Kinder
  • Tätigkeit / Ehrenämter: Zimmermann, Landwirt, dipl. staatl. geprüfter Langlauflehrer, gepr. Wanderführer, Mountainbike-Guide, gepr. Wanderreitführer, Vermieter, Bergrettung, Tourismusverband Ötztal: Ausschussmitglied der Ortsstelle Umhausen-Niederthai

Zum Lieblingsplatz

  • Ausgangspunkt: Parkplatz Sennhof / Tourismusbüro Niederthai
  • Gehzeit hin & zurück: 3:30 h
  • Schwierigkeitsgrad: mittel
  • Höhenunterschied: ca. 800 Meter

Bei jedem Atemzug verfalle ich dem Zauber

Warum ausgerechnet ist der Brand Michls Favorit, obwohl Niederthai doch umgeben ist von lauter Bergen? „Der Brand liegt ganz nah, ist aber mit seinen 2.283 Metern ein richtiger Berg“, sagt Michl. „Es geht mir nicht nur darum, den Gipfel zu erreichen, sondern um das Gesamterlebnis. Die landschaftliche Vielfalt ist faszinierend. Ständig verändert sich die Szenerie – der Forstweg wird zum Steig, der am Bach entlang verläuft. Der dichte Tannenwald geht bald in lichten, offenen Zirbenwald über, immer mit den schroffen, steilen Bergen in Sichtweite. Bei jedem Atemzug nehme ich den Wald auf und verfalle seinem Zauber. Nicht selten begrüßen mich Rehe, bei etwas Glück sogar ein paar Gämsen. Das erlebst du nur, wenn du unterwegs bist! Oben schnaufe ich durch, bleibe mal stehen und schaue in die Runde.“ Doch so weit sind wir noch lange nicht. Erst einmal geht’s auf dem gewarteten und rot markierten Wanderweg durch den Wald, wo es nach Zirbe duftet oder Zirme, wie es im Ötztal heißt. „Ein Teil davon gehört der Familie“, sagt Michl.  „Als gelernter Zimmermann arbeite ich selbst viel mit Zirbenholz.“ Als ich mich pausenlos an den Blaubeeren bediene, die neben den Preiselbeeren in üppigen Sträuchern wachsen, mahnt er zum Weitergehen. So gebe ich mich nur noch dem optischen Genuss hin, den die Almrosen bieten. Auch weiter oben ist der Steig nie ausgesetzt, sondern schraubt sich in angenehm weiten Serpentinen bis zum höchsten Punkt.

 

Der Wind, die Ruhe, die Aussicht und sonst nichts

Die Holzbank auf dem flachen Gipfel wartet selten auf völlig ermattete Bergsteiger. Eher dient sie als stabile Basis, um Fotos und Videos von der genialen Aussicht zu machen. Ein Stein steht dahinter mit einem Messingschild, angefertigt von der Bergrettung, im Gedenken an Michls Kameraden Vezi, mit dem er oft hier oben war. Tief unter uns liegt Niederthai. In den Fokus rückt der Strahlkogel, mit 3.288 m der höchste Berg der Larstiger Berge, einer Untergruppe der Stubaier Alpen. Über das gesamte Hochplateau von Niederthai reicht der Weitblick ins Ötztal. „Der Wind, die Ruhe, die Aussicht genießen und sonst nichts“, nennt Michl die Gründe seines ganz persönlichen Gipfelglücks. Doch wie sich die Landschaft ständig verändert, erfährt auch das „Nichts“ nach einer Weile eine Wandlung, als der Gipfelstürmer auf ein gut sichtbares Gebäude in der Ferne deutet. „Da unten liegt unser Hof“, sagt er und lächelt. Die Nabelschnur zu Margreth, seiner Frau, zu seinen beiden Kindern, den Pferden, zu allem, was Michl mit dem Tal verbindet, wird nie gekappt. „Und das ist auch gut so“, sagt der Familienvater und zeigt auf einmal Emotionen, die der coole Typ zumindest nach außen hin sonst eher selten preisgibt. Aber so ist es nun mal mit all den Lieblingsplätzen – sie berühren die Menschen, gehen unter die Haut, machen sie offen dafür, Gefühle zuzulassen. Naturtherapie!

 

Gereinigte Festplatte

Erst am Gipfel entscheidet Michl, welchen Weg er zurück wählt. Den Haussteig auf der anderen Seite oder den Abstieg über die leichtere Mahdebene als Teil des Grastaler Höhenwegs zwischen Brand und Hemerkogel. „Gemähte Ebene“ bedeutet der Ötztaler Name, da sie bis Anfang der 1950er Jahre von den Bauern in mühevoller Handarbeit gemäht wurde. Das Heu wurde dann auf steilen und nicht ungefährlichen Wegen nach Niederthai ins Tal gezogen. Wir entscheiden uns für die Mahdebene. Michl nutzt die Gelegenheit, am Bach nach seinen Kühen zu schauen, die friedlich auf der Alm weiden. „Der Brand“, sagt Michl, „ist ein Ganzjahresberg. Du kannst ihn zu Fuß, mit Schneeschuhen oder Skiern besteigen. Am Brand lebe ich mein eigenes Tempo, meinen eigenen Rhythmus. Hier kommen mir die besten Ideen, und nach der Rückkehr kann ich mit gereinigter Festplatte in den nächsten Tag starten. Echt befreiend!“